Don’t grow too fast! Teil 1: People & Processes
In der Wirtschaft dreht sich alles um Wachstum. Höher, schneller, weiter, jedenfalls mehr. Mehr Umsatz, mehr Kunden, mehr Gewinn. Es gibt zahlreiche Preise und Rankings für besonders schnell wachsende Unternehmen und einmal in der Liste, gilt es die Rolle als Wachstumschampion freilich auch zu verteidigen.
Ab wann sind Unternehmen mit dabei in diesem Rennen? Die Statistik Austria definiert schnellwachsende Unternehmen als solche, die über einen dreijährigen Zeitraum ein durchschnittliches jährliches Wachstum an Arbeitnehmer:innen von mindestens 10% erreichen, wobei ab mindestens 10 Mitarbeitenden gerechnet wird. Die OECD legt die Messlatte noch höher, nämlich bei 20% und mehr, wobei neben der Anzahl der Mitarbeitenden auch der Umsatz zählt. Wenn eines der beiden Kriterien im 3-Jahresschnitt über 20% pro Jahr wächst, gilt das Unternehmen als Gazellenunternehmen. Diesen Begriff prägte der Ökonom David Birch in den 1980er-Jahren.
Heute wird die Bezeichnung häufig auf Jungunternehmen bis zu einem Alter von maximal fünf Jahren beschränkt. Denn besonders junge und anfangs noch kleine Unternehmen können diese Wachstumsraten am ehesten erreichen. Doch auch ältere und bereits größere Unternehmen können aufgrund geänderter Strategien oder Rahmenbedingungen noch den Sprung in die Gazellenkategorie schaffen.
Egal, wie eng der Begriff nun ausgelegt wird, eines ist klar – es geht um Wachstum. Schnelles Wachstum. Und das können nur wenige Unternehmen erreichen. Flink und gelenkig, flexibel und geschmeidig wie das Tier schaffen es diese Unternehmen, sich perfekt an die Bedürfnisse und Gegebenheiten der Märkte anzupassen und so die Kund:innen von ihren Leistungen zu überzeugen. Für die Unternehmen selbst zählen dabei vor allem der Umsatz, der Gewinn und die Reputation.
Bill Hewlett und David Packard, die Gründer von HP, sollen in einem Interview auf die Frage nach dem wichtigsten Rat, den sie jungen Unternehmern geben würden, gesagt haben:
„Don’t grow too fast!“
Schnelles Wachstum birgt nämlich einige Hürden und Gefahren, die auf den ersten Blick gerne ausgeblendet werden. Im Folgenden möchte ich daher einige Aspekte aufzeigen, die Unternehmen in starken und längeren Wachstumsphasen beachten sollten, um nicht dem Beispiel vieler vor ihnen zu folgen, deren Höhenflug mit einem abrupten Absturz endete. Ich brauche hier keine Namen zu nennen, die Geschichte ist voll von Beispielen, nicht nur die jüngere Geschichte. Im ersten Teil geht es dabei um die Aspekte Personal, Organisation und Unternehmenskultur.
1. Who’s gonna support and work the growth?
Wer ist das Rückgrat des Unternehmenswachstums? Die Menschen, es sind immer noch die Menschen. Die Mitarbeitendenzahl ist im Rennen um das Wachstum zwar meist gar nicht das primäre Ziel der meisten Unternehmen, sie wären lieber Wachstumschampions qua Umsatz bei gleichbleibendem Personalstand. Schließlich schmälern die höheren Personalkosten auch den Gewinn. Doch volkswirtschaftlich gesehen und in Bezug auf das gesellschaftliche Gemeinwohl liegt der Wert von schnellwachsenden Unternehmen natürlich in der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Daran führt bei allen Synergien ohnehin kaum ein Weg vorbei. Denn Wachstum braucht Humanressourcen. Zumindest noch. Wie es in einigen Jahren mit der Weiterentwicklung der KI aussehen wird, steht auf einem anderen Blatt.
Damit sind wir beim ersten wichtigen Thema, mit dem Unternehmen sich in Wachstumsphasen beschäftigen müssen, nämlich mit der Personalpolitik. Starkes Wachstum braucht starke Mitarbeitende. Die Leistungskultur des Teams ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Wachstum. Doch viele Unternehmen leben von den Fähigkeiten weniger Mitarbeitenden, die sich nicht eben mal so duplizieren lassen.
Zudem ist bei wachsenden Teams auf Vielfalt und Kompatibilität von Talenten, Fähigkeiten und Sichtweisen zu achten. Die neu geschaffenen Stellen lassen sich oft zügig besetzen, zumindest wenn das Gehalt stimmt. Und hier können sich wachstumsstarke Unternehmen eher eine Spendierlaune leisten. Doch ob es immer die richtige Personalwahl ist, die das Unternehmen ohne Disruption wachsen lässt, ist nicht gesagt. Denn in Zeiten starken Wachstums hat das People Management oft gar nicht die Zeit, allzu lange abzuwägen. Zu sehr arbeiten die verfügbaren Teammitglieder schon an ihren Grenzen.
„Wir können uns keine 80-Prozent-Entscheidungen leisten. Die Leute müssen hundertprozentig passen“, sagt hingegen der Gründer von ICUnet. Da bleibt eine Stelle auch mal eine Zeitlang unbesetzt, bevor zu große Kompromisse im Team eingegangen werden. Das Unternehmen sei schließlich ein zu empfindliches Gebilde.
2. Prozesse und Strukturen sind die Basis. Und brauchen Zeit, sich zu etablieren.
Wenn Unternehmen sehr schnell wachsen – man sieht es oft bei neu entwickelten Business Units – besteht die Gefahr, dass Prozesse zu schnell aufgesetzt und definiert werden. Vieles wird „on the fly“ entschieden. Die Zeit drängt, die Kunden warten, die Auftragsbücher sind voll und es bleibt kein Spielraum, erstmal eine Arbeitsgruppe zu bilden, um notwendige Prozesse und vor allem deren Schnittstellen untereinander zu analysieren.
Was bei noch sehr kleinen Unternehmen durch Flexibilität und Agilität möglich ist, sorgt bei bereits größeren Unternehmen für erhebliche Probleme. So wird oft für eine schnelle Lösung einem Ablauf gefolgt, der sich dann auf lange Sicht als unpraktikabel erweist. IT-Prozesse bilden hier die absolute Spitze. Es ist eines der häufigsten Themen, die ich in meinen Trainings diskutiere, dass sich schlecht definierte Prozesse in den elektronischen Systemen nachträglich schwer ändern lassen. Jede Änderung im zweiten Schritt ist mühsamer als es die saubere Abbildung im ersten Schritt gewesen wäre. Das Ergebnis ist nicht selten eine permanente Neudefinition von Prozessen und Strukturen in schnellem Takt. Das überfordert Organisationen und senkt die Motivation des Teams. Gut durchdachte digitale Lösungen, Automatisierung und Prozessoptimierung sind daher eine notwendige Ausgangsbasis für Unternehmenswachstum und Skalierung.
So manches Unternehmen ist vom Wachstum, das durch exzellente Strategien erreicht wurde, dann operativ überfordert. Die Prozesse und auch die Strukturen sollten daher in ihren Grundzügen bereits stehen, bevor eine Strategie ausgerollt wird. Wie stark ein Unternehmen wächst, sollte demnach nicht nur den Marktbedingungen überlassen werden, sondern eine bewusste Entscheidung des Managements sein. Wenn die Strukturen, Kapazitäten und Prozesse von Anfang an klar geplant sind, ist organisiertes Arbeiten auch in starken Wachstumsphasen möglich.
3. Culture is the core. Keep its heartbeat.
Die Unternehmenskultur ist das Herz des Unternehmens-Organismus. Sie versorgt die dort arbeitenden Menschen mit einem Mindset wie das Herz den menschlichen Körper mit Blut. Kultur ist ein faszinierendes Thema, ich habe dies schon so oft bei Unternehmen erlebt. Es ist, als ob Individuen an der Schwelle zur Arbeit ein weiteres Stück an Persönlichkeit annehmen und sich in ein größeres Denken einfügen. Unternehmenskultur schafft ein gemeinsames Selbstverständnis, ein Wir-Gefühl, für das Mitarbeitende gerne losgehen. Oder aufgrund dessen sie bereits in der Bewerbungsphase merken, dass dies nicht für sie stimmt.
So, oder so, die Kultur gibt den Rahmen vor und setzt die Grenze zur Außenwelt. Sie verleiht Halt, sie schweißt zusammen, sie gibt Sicherheit und Orientierung. Das kann sie aber nur, wenn der Kern der Kultur stabil genug ist, um Neuankömmlinge willkommen zu heißen, zu supporten, zu begleiten, bis sie sich gut eingelebt haben. Wenn zu viele in einem Team gleichzeitig neu sind, fehlt die gemeinsame Ausrichtung, es fehlt ein Miteinander. Forming, storming, norming, performing heißt es im Teambuilding. In der Sturm-und-Drang Phase ist man dabei eher mit sich selbst beschäftigt als mit der Lösung von Kundenproblemen.
Daher kann schnelles Personalwachstum den Herzschlag der Unternehmenskultur auch negativ beeinflussen. Vor allem traditionelle Familienbetriebe sollten hier Vorsicht walten lassen. Die Balance zwischen notwendiger Erneuerung und solider Stabilität schaffen nur wenige Betriebe beim Wachstum zu halten. Wenn neue Hierarchieebenen entstehen und die Komplexität und Bürokratie steigen, ist es besonders für bis dahin eher familiäre Betriebe eine Herausforderung, die individuelle Entfaltung und Motivation der Mitarbeitenden aufrechtzuerhalten.
Da schnelles Wachstum meist auch schnellen Wandel bedeutet, ist ständige Kommunikation besonders wichtig. Das Team muss schließlich wissen, in welche Richtung es hinarbeiten muss. Welche Vision und welches Leitbild die Anstrengungen auch rechtfertigen. Welche Ziele in der Zielhierarchie vorrangig anzustreben sind. Und was das stabile Warum hinter den ständig wechselnden Prozessen ist.
Um diese strategische Ausrichtung geht es daher im kommenden zweiten Teil dieses Beitrags. To be continued …